Rotistentum

Das Rotistentum

Religion in Siebenhafen – Eine Abhandlung von Bruder Tobias

Nachdem ich von beschwerlichen, nichtsdestotrotz lehrreichen Reisen durch unser schönes Fürstentum in das Kloster der Heiligen Zweifaltigkeit in der Stadt der Sieben Türme zurückgekehrt war, verordnete mein Abt mir eine Zwangspause. Ich sollte mindestens bis zum nächsten Sommer im Kloster bleiben, um mich wieder dem Gebet widmen zu können. Trotzdem wollte mir jeden Tag die Feder wie von alleine in die Hand springen. Nachdem ich gesehen hatte, wie wenig das Volk doch über unseren Glauben weiß, und um auch gebildeten Fremden wie euch eine Vorstellung von Ihm und Ihr vermitteln zu können, entschloss ich mich, eine Abhandlung über Ihn und Sie in einfachen Worten auf das Papier zu bringen. Ich habe mich dafür entschieden, die Fragen, die bei Unkundigen immer wieder auftauchen, mir auch selbst zu stellen und sie sogleich für euch zu beantworten.

Wer ist Er?
Wer war Sie?
Wer ist der Fünfgeschwänzte?
Was ist die Sünde?
Was ist die Zweifaltigkeit?
Was erwartet uns jenseits dieser Welt?

Wer ist Er?
Er ist unser Gott. Früher, bevor Sie auf die Erde kam, gaben wir Ihm Namen, aber Sie lehrte uns, Ihn als das zu erkennen, was Er ist: Er ist der Schöpfer, Er ist die Welt, Er ist in uns und um uns herum.
Bevor alles andere war, war Er, der Herr, bereits uralt. Er hat aus seinen Wünschen geschaffen, worauf wir heute stehen. Er brachte das Leben, und indem er einem lebendigen Wesen die Vernunft einhauchte, schaffte er den ersten Zweifaltigen. Dieser vermehrte sich, und durch die Vielfalt, die Er in die Welt gesetzt hat, entstanden die mannigfaltigen Formen der Zweifaltigkeit, die wir heute kennen.
In allem, was um uns herum ist, können wir Sein Wirken erkennen. Sein gnädiges Auge ruht auf uns, und seine Hand hält er über uns. Es ist unsere Pflicht, Ihm jeden Tag zu huldigen und Ihn um Schutz und Beistand zu bitten.
Er hat Engel und Heilige um sich geschart, die er entsendet, wenn die Zweifaltigen, die unter Seinem Schutz stehen, Not leiden und Hilfe brauchen. Viele entsendet er nur zu besonderen Aufgaben, und viele haben ein besonderes Aufgabengebiet, dem sie besonderes Augenmerk widmen.

Wer war Sie?
Sie war ein Engel. Nachdem viele, viele Menschenalter lang die Sonne geschienen hatte auf dem Erdenrund, kamen mit dem Fünfgeschwänzten die Sünden in die Welt. Niemand weiß, wer zuerst in die Welt kam: Die Sündhaftigkeit der Zweifaltigen oder der Fünfgeschwänzte in der Höllenküche.
Als Er, der Herr, diesen Zustand sah, schickte er Sie. Sie war in seinem Himmelsreich einer der mächtigsten Engel gewesen, mit einer Stimme, die Burgmauern einstürzen lassen konnte und einem Schwert, mit dem Sie mit einem Streich ein ganzes Heer enthaupten konnte. Weil Sie aber gesehen hatte, dass so den Zweifaltigen zu Ihren Füßen nicht zu helfen war, legte Sie all ihre gottgleichen Kräfte ab und stieg als einfache Zweifaltige, in Gestalt einer alten Frau, zu uns herab. In einer verlassenen Herberge brachte sie Milena zur Welt, die eins war mit Ihr und Sie selbst war.
Nachdem sie die Schmerzen der Geburt am eigenen Leib der alten Frau und am eigenen Leib des Kindes erfahren hatte, verließ Milena die mütterliche Hülle und begann ihr Leben auf Erden als hilfloser Säugling. Sie wurde von einem alten Schmied, Albin, gefunden und aufgezogen. Nichts ließ erkennen, dass Milena eins war mit Ihm, dem Herren.
Milenas gesamtes Leben und Wirken zu beschreiben, würde in diesem kurzen Traktat zu weit führen. Im heiligen Buch, dem Liber Rotae, könnt Ihr, geneigter Leser, mehr über Milena erfahren.
Milena wandelte durch die Welt und tat viel Gutes. Sie sammelte Gefolgsleute um sich, die Ihre Sicht des Glaubens verstanden und weitertrugen. Sie suchte danach, die Versuchungen des Fünfgeschwänzten auszumerzen und die Zweifaltigen von der Sünde reinzuwaschen. Es sollte Ihr bis zu Ihrem Tod nicht gelingen, und um seine Macht nicht zu verlieren, flüsterte der Fünfgeschwänzte ihren treuesten Anhängern ins Ohr, Milena sei gekommen, um sie alle zu unterdrücken. Die Verblendeten glaubten dem Versucher und banden Milena auf das Rad. Nach drei Tagen der Qual starb Milena, einsam und als Verbrecherin gerichtet.
Milena wurde vom Rad gebunden, und ihre Leiche wurde verscharrt. Milenas Geist jedoch, da Sie rein von jeder Sünde war, fuhr auf in das Himmelsreich zu Ihm, dem Herrn, wo Er Ihr Ihre Engelsmacht zurückgab. Solchermaßen gestärkt und nicht mehr auf die sterbliche Hülle Milenas angewiesen, begab Sie sich zurück zu Ihren Anhängern und offenbarte sich ihnen in Ihrer wahren Gestalt. Die Anhänger vielen auf die Knie und priesen Milena und Ihn, den Herrn. Sie warnte ihre Anhänger vor dem Versucher mit den fünf Schwänzen und gab Ihnen hilfreiche Regeln, nach denen wir heute noch leben. Dann fuhr Sie wieder auf in Sein Reich.
Dort sitzt Milena, die nach ihrem Tod Rota genannt wurde, als einzige neben Seinem Thron, denn als einzige Sterbliche ist sie wirklich frei von Sünde.

Wer ist der Fünfgeschwänzte?
Der Fünfgeschwänzte ist der Versucher, der uns die Sünden in bunten Farben als etwas vorgaukelt, was wir gerne tun würden. Niemand weiß, ob er von der Sündhaftigkeit der Zweifaltigen angelockt wurde und sie für sich nutzt, oder ob er zuerst kam und die Sünde erst in die Welt brachte. Er und seine Kreaturen ernähren sich vom Leid, und das Glück, das der wahre Glaube bringen kann, verdirbt ihm seine Mahlzeit. So konfrontiert er uns überall mit der Sünde, um uns ins Unglück zu stürzen. In einer niederträchtigen Perversion Seines und Ihrem Reich setzt auch er Sendboten und Kriegerfürsten ein, Dämonen und Teufel.

Was ist die Sünde?
Die Sünde ist das Böse, das Werkzeug des Fünfgeschwänzten. Sie gilt es zu meiden. Der Herr gab uns nur dieses eine Gebot, doch es ist umso wichtiger: Sündige nicht!Es gibt Fünf Große Sünden, der Fünfgeschwänzte trägt an jedem Schwanzende eine und peitscht mit ihr die Welt, in der die Zweifaltigen leben. Es ist tägliche Aufgabe und Prüfung für jeden Rotisten, den Sünden auszuweichen, oder aber, wenn ihr dies nicht vermochte, für seine Sündhaftigkeit Buße zu tun.
Die Fünf Großen Sünden sind:
Superbia (Hochmut): Wer Ihn und Sie verleugnet, wer dem Glauben, seinen Herren und seinen Mitrotisten nicht mit der nötigen Demut begegnet, der ist dieser Sünde verfallen. Sei stets brav und nicht vorlaut, neige das Haupt vor deinen Herren und beuge das Knie in der Kirche, und Du wirst dieser Sünde ausweichen.
Ira (Zorn): Wer ohne Not Gewalt verbreitet, wer ohne Recht die Stimme erhebt, der ist dieser Sünde verfallen. Wisse stets, was Recht ist und was Unrecht, handle nur, wenn Du im Recht bist, und wahre auch dann stets die Verhältnismäßigkeit, und Du wirst dieser Sünde ausweichen.
Avaritia (Habgier): Wer nicht unterscheiden kann zwischen dein und mein, wer stolz ist auf seinen Besitz, ohne ihn zu verdienen, der ist dieser Sünde verfallen. Sei mit dem zufrieden, was Du hast, und begehre vor allem nicht, was Deines Nächsten ist. Gebe jenen, die weniger haben als Du, und Du wirst dieser Sünde ausweichen.
Luxuria (Maßlosigkeit): Wer stets von allem mehr haben will, als er benötigt, wer keine Grenzen kennt und alles, sei es das Essen, das Trinken, das Spielen oder das Huren, bis zum Exzess betreibt, ist dieser Sünde verfallen. Sei maßvoll, nimm Dir nur, was Dir zusteht und was Du wirklich brauchst. Bedenke den Zweck der Verrichtung und betreibe sie aus der Not, nicht aus Vergnügen. So wirst Du auch dieser Sünde ausweichen.
Acedia (Trägheit): Wer auf Kosten anderer lebt, fett und faul ist, sich seiner Pflichten nicht erinnert, der ist dieser Sünder verfallen. Tue, was Dir aufgetragen, ja versuche noch mehr zu tun, arbeite stets unermüdlich in dieser Welt und für die nächste, so wirst Du dieser Sünde ausweichen.
Dies sind die Fünf Großen Sünden, wie sie uns von Ihm durch Ihren Mund gesagt wurden. Vermeide diese Sünden, um den Fünfgeschwänzten zu schwächen und in das Himmelreich aufzufahren.

Was ist die Zweifaltigkeit?
Zweifaltigkeit ist zwei Dinge. Zum einen ist es die Einheit, und doch die Trennung, von Ihm und Ihr, von Vater und Tochter, die doch eins sind in Gott.
Zum anderen ist es das, was der Herr uns mit auf den Weg gab. Es sind die beiden Grundsteine des Lebens, die Vernunft und die Seele. Menschen haben beides, ebenso Elfen und Zwerge. Viele Tiere haben zwar eine Seele, wie sonst wäre ein Hund zu solcher Freundschaft und ein Pferd zu solcher Treue fähig, doch fehlt ihnen offensichtlich die Vernunft, denn sie können nicht sprechen. Andere Wesen wiederum, die auf den ersten Blick einem Zweifaltigen gleich scheinen, lassen gefälliges Handeln vermissen, ihnen fehlt die Seele. Dämonen und Teufel sind ein offensichtliches Beispiel dafür, doch auch die Orks und Oger sind zwar mit genug Vernunft ausgestattet, in einer wenn doch primitiven Sprache zu sprechen, wären allerdings niemals zu diesen Gräueln fähig, hätten sie eine Seele. Wieder andere Wesen, wie die stummen Fische, die Bäume, Sträucher und Gräser haben beides nicht. Sie stellte der Herr an die unterste Stufe jener Leiter, die ins Himmelreich führend die Zweifaltigen am höchsten erklommen haben.

Was erwartet uns jenseits dieser Welt?
Wenn unsere sterbliche Hülle einst ihren Zweck erfüllt hat, geht unsere Seele auf eine Wanderung, die sie letztlich an einen Scheideweg führt. Dort, an dem Kreuzweg, steht der Sankt Kristoph, der tief in unsere Seele blickt und uns mit seinem Stab einen der Wege versperrt. Je nachdem, wie wir uns zu Lebzeiten verhalten haben, weist er uns entweder den Weg zur Treppe aus Wolken, die ins Himmelreich führt, oder jenen zu der Schwarzen Klippe, an deren Fuß die Höllenküche liegt. Niemand kann den Heiligen betrügen, er ist unbestechlich und gegen alle Angriffe unempfindlich.
In der Höllenküche erwarten die unglückliche Seele die Dämonen und Teufel mit Peitschen und Klingen. Jeder erhält Harnisch und Waffen, dann beginnt die unendliche Tortur. Ewig wird man von den Dämonen über glühende Felder getrieben, die Teufel zerfetzen mit ihren Peitschen die Rücken der Verdammten, die sich in nie enden wollenden Schmerzen winden. Hunger und Durst plagen sie, und ihre Wunden schwären ewiglich, nur um stets von neuem aufgerissen zu werden. Die bösesten auf Erden aber, sie werden die schlimmsten Sklavenarbeiten verrichten.
Jener aber, der ein rotagefälliges Leben geführt hat, erklimmt mit Leichtigkeit die wolkenen Stufen, an deren Ende er freundlich empfangen wird. Helden und Heilige schmieden für ihn einen Panzer, leicht wie Seide und undurchdringlich wie der härteste Stahl. Ein jeder erhält eine Schwertlanze, mit Luft gehärtet und mit Licht geschärft. Engel und Jungfrauen versorgen die aufgestiegenen Seelen mit Speis und Trank nach jedermanns vorzüglichstem Geschmacke. Die Ausbildung wird von den tapfersten der Helden und den weisesten der Heiligen mit Geduld und Liebe verabreicht, und ein jeder entwickelt sich im Angesicht von Ihm und Ihr zum feinsten Kämpfer für das Gute. Speis und Trank wohnen Zauberkräfte inne, einem jeden wachsen Flügel, den Engeln gleich. Und die, die sich auf Erden besonders hervorgetan haben, sei es Mann oder Frau, sei es mit dem Arm oder dem Geist, sie werden gemeinsam mit den Engeln und Heiligen die Heerscharen führen.
Doch wozu diese kriegerische Vorbereitung? Eines Tages wird der Herr sich von seinem Thron erheben, Milena wird ihm seinen Panzer reichen, und schöner als alles, stärker als alles, wird er sich an die Spitze der himmlischen Heerscharen stellen und sich gemeinsam mit ihnen hinabstürzen auf die Massen kriechender Leiber, die sich aus den finsteren Gestaden der Höllenküche emporwälzen. Und es ist an uns, jeden Tag, diesen Kampf zu entscheiden. Denn wo Edelmut und Gewalt aufeinanderprallen, kann nur die Zahl die Entscheidung bringen. Am Ende dieses Jüngsten Tages soll es dann entschieden sein. Erhielt der Fünfgeschwänzte die Oberhand, wird er das Leid aus allen herauspressen, und Milena wird seine Hauptspeise ein. Er wird das Leid fressen, bis er fett ist, und dann noch immer nicht genug haben. Behält der Herr jedoch die Oberhand, wird er alle, auch die ehemaligen Diener des Fünfgeschwänzten, in das Paradies führen, denn er ist die Vergebung. Goldene Zeiten werden anbrechen. So sagt es die Prophezeiung, die von dem Krieg zwischen Gut und Bösen am Jüngsten Tag berichtet.

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